Amiga Folk




Amiga Folk

Der ehemalige DDR-Rundfunkkollege, Musikredakteur und Musiker Manfred Wagenbreth beschreibt die Fünf-CD-Box, die im 75. Jubiläumsjahr von AMIGA erschien, im Beiblatt wie folgt: "Genug Zeit ist verstrichen seit jenen Jahren, da sich auf dem Gebiet der Ehemaligen so etwas wie eine Folk-Szene entwickelte. Genug Zeit, um Miss- und Gar-nicht-Verständnisse ins Kraut schießen zu lassen.* Insofern sei es anbei noch einmal betont: Nein, diesen Leuten ging es damals nicht darum, ein singendes, klingendes Fachwerkhaus originalgetreu nachzubauen, Raachermännel im bewährten Design zu schnitzen und schon gar nicht darum, Volkslieder im authentischen Stile des sagen wir - 17. Jahrhunderts nachzuspielen. Nicht vordergründig jedenfalls; was also nicht heißt, dass es der eine, die andere vielleicht nicht doch probierte, durchaus mit heißem Bemühn. Und, sage ich als einer, der dabei war und irgendwie geblieben ist - den Folkies jener Jahre rundum eine dezidierte Opposition zum realsozialistischen Kulturbetrieb zu unterstellen, das wäre nun auch wieder der Ehre zuviel. Obwohl...

Über dem Biwak der Folkies wehte jedenfalls jene milde Brise sympathischer Anarchie. Oft genug kollidierte das, was die jungen Leute im Klischee-treuen Habit da trieben - und wie sie es das taten - mit den amtlichen Gegebenheiten. Nicht wenige der Pioniere jener Jahre wissen heute noch teils schnurrig-anekdotische, teils bittere Verse von Schurigeleien, Gängelungen und Auftrittsverboten zu singen. Die Folk-Bewegung, die sich seit etwa Mitte der 70er Jahre, ausgehend von Zentren wie Erfurt, Plauen, Cottbus, Leipzig, Berlin und der Ostseeküste zunächst zaghaft, bald jedoch unüberhörbar durch die DDR zog, kam nicht aus dem Nirgendwo. Alte, teils uralte Lieder zu sammeln und neu, unvoreingenommen zu interpretieren, war Brauch rund um die Welt seit Jahrzehnten, Jahrhunderten.

Seit Mitte des 20. erfuhr dies eine rasch wachsende Popularität durch Rundfunk und Schallplatten. Musikerinnen und Musiker von den Britischen Inseln sowie aus Nordamerika waren seit den 60er Jahren auch hierzulande ein Begriff und zeigten, dass Tradition und Jugendkultur sehr wohl eine kreative Symbiose eingehen konnten (was sie auch in früheren Zeiten oft genug unter Beweis gestellt hatten).

Die Jahre der braunen Diktatur hatten das Interesse am deutschen Volkslied - von Identifikation mit ihm gar nicht erst zu reden - gründlich verschüttet. Es bedurfte schon der anglophonen Vorbilder und -schließlich der gründlichen Beschäftigung mit den einheimischen Quellen (Steinitz und so...), um ein wachsendes Repertoire von populären Gesängen verflossener Generationen aus den Niederungen verschämter Distanzierung zu bergen.

Das betrieben die Folkies der ersten Stunden: in mitreißender Naivität ebenso wie im kammermusikalischen Gestus oder - wie Horch - mit fulminant gespielten Elementen aus Barock und Rock; in Treue zu archaischen Vorlagen oder - wie das Duo Sonnenschirm - gleich über das Genre hinaus mit einem kompletten Fundus neuer, selbst geschriebener Texte und Melodien.

So viel war zu bereden, zu besingen, über das hinaus, was die Tradition zu bebildern in der Lage war.

Wacholder erkundeten mit ihrem Instrumentarium die lyrische und widerborstige Welt des Heinrich Heine. Mitbringsel von dieser Exkursion brachten es 1983 auf ihre AMIGA-Platte und - vor allem - auf nachfolgende Alben in den Jahren 1993 bis 1998.

Der Mauerfall und die folgenden Jahre gingen nicht spurlos an den Folkies in Deutschlands Osten vorbei. Die hier vorliegenden CDs dokumentieren jedoch, dass und wie sich namhafte Bands der Szene auch in den Jahren danach - teilweise bis in die heutigen Tage - zu Wort meld(et)en. Nicht vergessen sei hier im weiteren Zusammenhang das Rudolstadt Festival, das seit 1991 als wohl nachhaltigstes Erbe der Folk-Szene dem Genre, plus verwandten Disziplinen, alljährlich eine Arena bietet - das mittlerweile europaweit größte Ereignis seiner Art! Dies hier ist also eine Sammlung von AMIGAS Folk Produktionen aus den 80er Jahren. Natürlich fehlen einem diverse Bands, die nicht den Weg in diese Sammlung fanden, weil solche Projekte naturgemäße Begrenzungen haben, oder schlicht, weil das Label - aus welchen Gründen auch immer - die damals nicht auf dem Schirm hatte. Einen willkommenen Einblick in das Folk-Panorama der DDR in ihrem letzten Jahrzehnt bietet die Kollektion allemal. Und mit ihren Bonus-Tracks schlägt sie eine Brücke in die Gegenwart. Folk on!"

Weiteres zur Amiga Folk-Box vom Label SECHZEHNZEHN bei der BuschFunk Vertriebs GmbH als auch beim Musikversandhändler jpc . Passend dazu auch der Verweis auf das Buch des ehemaligen DDR-Rundfunk-Kollegen Wolfgang Leyn "Volkes Lied und Vater Staat" sowie das Online-Portal "Ostfolk", welches der Autor bis heute regelmäßig aktualisiert.

* (Obwohl gerade in jüngerer Zeit zwei dankenswerte Veröffentlichungen - VOLKES LIED UND VATER STAAT, Wolfgang Leyn und DEUTSCHFOLK, Bernhard Hanneken - das Thema noch einmal ausführlich beleuchteten...)

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